Zu der Veröffentlichung der Dokumentation über die
“Friedhöfe in der Synagogengemeinde Hovestadt”
schrieb August Bierhaus:

 

August Bierhaus                                          Ahaus, 26. April 2007
* 27.01.1924 in Hovestadt

Recht herzlichen Dank für die Überlassung der Dokumentation "Friedhöfe der Synagogengemeinde Hovestadt". Mit dieser Veröffentlichung wird ein Kapitel Hovestädter Geschichte festgehalten, das schon mit der Ansiedlung der ersten jüdischen Familien um 1730 begann.

In den 50er Jahren habe ich bei einem Spaziergang mit meiner Frau den alten Judenfriedhof in der Nordwestecke des Creenbrink gesehen. Ich meine, dass dort noch die Reste von mehr als drei Grabmälern -teils unter dichten Brombeerranken- gesehen zu haben. Felix hat in einer Kurzmitteilung von 5 bis 6 Steinen gesprochen. M. W. waren noch Reste der hebräischen Texte erkennbar.

In der Dokumentation vermisse ich den Grabstein des Isaac Sommer, der 74- jährig am 24.04.1922 (nach Gerd Oeding, S- 231) verstarb. An dessen Frau Elise Sommer kann ich mich gut erinnern. Sie wohnte mit ihrem unverheirateten Schwager Jakob gt. Julius (* 22.3.1855 in Hovestadt) im Erdgeschoss des Hauses an "Sommers Ecke". Dort habe ich die Felle von Kaninchen gebracht und bekam von Sommer ein paar Pfennige dafür.
An die Beerdigung von Elise Sommer (* 10.7.1938) habe ich das Bild vor Augen, dass Bauer Röttger mit einem Leiterwagen die Sargkiste transportierte, gefolgt von dem Ehepaar Rudolf Cohn und Paula Cohn geb. Sommer. Ob auch Verwandte der grossen Sippe Sommer aus Soest dabei waren, ist mir nicht mehr in Erinnerung. Aber an Frau Barz -damals die einzige Protestantin in Hovestadt- kann ich mich gut erinnern. Mit einigen Gleichalterigen sind wir durch den Althof gelaufen und haben der Beerdigung von Frau Sommer zugeschaut.
Man erzählte damals, dass die Hinterbliebenen Geldstücke in die Gruft werfen und den Friedhof rückwärts gehend verlassen würden und dabei rufen: "Bleib hinter mir, bleib hinter mir!".
- Von alldem habe ich damals nichts gesehen! -
Es gab Zuhause Schimpfe!

Elise Sommer wurde m.W. in der Südwestecke des Friedhofs begraben; sie erhielt keinen Grabstein, denn vier Monate später wurden Julius Sommer und die Eheleute Rudolf und Paula Cohn nach dem Pogrom nach Oestinghausen im großen Haus der Familie Neukircher, später bei der Familie Albesheim in Soest (Gerd Oeding, S. 239) untergebracht und 1942 deportiert.

Julius Sommer kam täglich zur Post; er hatte viele briefliche Kontakte mit Verwandten, auch im Ausland. Ich kann mich an die Briefe und Päckchen mit den ausländischen Briefmarken erinnern. In der Fastenzeit brachte Julius Sommer einige "Matzen", das ungesäuerte Brot ins Haus. Im Spätsommer, wenn die letzten Gurken reiften, legte mein Vater in einem kleinen Fässchen Salzgurken -mit Dill und Weinblättern- ein. Wenn nach einigen Wochen das Fässchen geöffnet wurde, und die Salzgurken zum täglichen Frühstück gehörten, wurde Julius Sommer, der im Postflur wartete, in die Küche gebeten. In eine Schüssel in seiner Ledertasche bekam er eine reichliche Portion Salzgurken....

Rudolf Cohn fuhr mit dem Fahrrad und einem “Köfferchen” auf dem Gepäckträger über Land. Als unsere "Silberpapierkugel" groß genug war, habe ich mit meiner Schwester Käthe die im Obergeschoss befindliche Wohnung der Familie Cohn aufgesucht. Selma Cohn (* 29.1.1919) war mit Käthe gleichalterig. Selma hatte "Lackbilder, Postkarten und illustrierte Zeitungen". Sie besuchte von 1929 bis 1933 die Rektoratschule; auf dem Foto von 1930 in "Unsere Rektoratschule" ist sie (auf S. 105) neben Käthe Katthöfer zu sehen. Selma Cohn zog 1938 nach Wuppertal-Elberfeld; sie soll dort geheiratet haben. Ob sie noch 1944 noch auf dem Soester Bahnhofsgelände als Zwangsarbeiterin tätig war, wage ich zu bezweifeln.

Im Jahre 1982 hatte meine Frau die Möglichkeit, den Ahauser Judenfriedhof aufzusuchen, der noch 58 Grabsteine enthält. Sie hat damals zunächst die Inschriften und Platten von Moos und Flechten gesäubert, dann 116 S/W und Farbaufnahmen von Vor- und Rückseiten gemacht. Die zahlreichen hebräischen Inschriften sind größtenteils übersetzt; eine Veröffentlichung durch die Stadt Ahaus ist geplant.

1988 habe ich als Kreisheimatpfleger die Dokumentation des Novemberpogroms 1938 im Kreis Borken "..Es ist nicht leicht, darüber zu sprechen" herausgeben können, 2004 erfolgte eine Neuauflage. Im Jahre 2003 stellte der VHS-Arbeitskreis Ahauser Geschichte "Materialien und Dokumente für die pädagogische Arbeit mit dem Titel "Jüdische Geschichte in Ahaus" zusammen (128 S., DIN A4- Format) Für das "Historische Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe" erarbeiteten Ingeborg Höting und Franz Josef Hesse einen standardisierten Text mit 37 Seiten.