Brücken verbinden

Theodor Uphoff

Die Lippebrücke bei Lippborg


 

Ludgerus-Grundschule Lippborg. In der Pausenhalle stehen ein paar Jungen und Mädchen vor der Reproduktion eines alten Fotos von der Lippborger Lippebrücke. Die Aufnahme stammt aus der Zeit um 1930. Erst seit ein paar Tagen hängt sie hier in der Halle der Ludgerusschule.

 

"Das ist ja unsere Kirche!" stellt Heinz fest. "Ja, dann muß das ja die alte Lippebrücke sein!" — "Sicher", meint Thomas ganz stolz, "der Mann da oben auf dem Pferdewagen, das ist mein Opa. Dahinter steht Onkel Kaspar." — Thomas hat recht, und bei mir werden Tage glücklicher Kindheit lebendig. So erzähle ich den gespannt lauschenden Kindern von all den Dingen, die wir als Dorfkinder hier an der Brücke erlebt haben.

Da war das Brückenhaus, in dem der gute 'Onkel' Schmillenkamp tagsüber saß und den Brückenzoll erhob. Seine ständigen Besucher waren wir, die Kinder aus der Nachbarschaft. In seinem Brückenhaus konnten wir unsere Schuhe und Strümpfe an dem heißen Kanonenofen wieder trocknen, wenn es bei unseren Klettereien in den Brückenjochen der alten Holzbrücke allzu heiß hergegangen war und wir uns einen 'Nassen' geholt hatten. - Wer war uns behilflich, wenn wir Kastanien sammelten unter den herrlichen alten Bäumen, die beiderseits der Lippestraße standen? 'Onkel' Schmillenkamp war es, der gezielt den Stock in die wuchtigen Kronen warf, worauf es dann geradezu Kastanien regnete. — Ja, und dann durften wir ja auch mal hin und wieder stellvertretend den Brückenzoll kassieren, um ihn dann stolz im Brückenhaus abzuliefern.

Ach ja, die alte Holz-Lippebrücke. Wie oft lagen wir bäuchlings auf den alten Bohlen, blinzelten durch die breiten Ritzen auf die darunter fließenden Wasser der Lippe, und unsere Träume (... und unsere Spucke!) gingen mit bis nach Wesel, wo sich unsere gute alte Lippe in den Rhein ergießt!

Für die Kinder sind es Märchen wie aus alter Zeit. Und doch ist diese Zeit noch gar nicht so lange her, als Hektor und Minka (die beiden Pferde auf dem Bild!) die Kohlewagen über die Brücke zogen, die dabei ganz bedenklich schwankte und bebte!

Aus welcher Zeit stammt denn nun diese Holzbrücke? — Ich blättere in den vergilbten Blättern der ersten Chronik von Lippborg, geschrieben in den Jahren um 1800 von dem Rentmeister von Haus Assen, der gleichzeitig damals auch Bürgermeister von Lippborg war; Wilhelm Geißler. Da steht als 37. Eintragung aus dem Jahre 1801:

"Statt der bisherigen Fähre auf der Lippe bei Lippborg hat der Erbkämmerer daselbst eine stehende Brücke bauen lassen; sie war anfangs November dergestalt in Stand gesetzt, daß man darüber gehen und fahren konnte."

Und die Pfarrchronik von Lippborg (Parrer Didon um 1860) berichtet rückblickend über den Brückenbau weiter:
"...und das viele Holz der Gemeinde Lippborg konnte nun leichter über die Lippe gebracht werden." Ãœber 130 Jahre lang hat diese Holzbrücke dem Verkehr gedient. Manches Hochwasser hat sie überstanden. Sie erlebte auch die Schiffbarmachung der Lippe. — Hier eine Eintragung von 1819 in der o. a. Chronik des Rentmeisters Wilhelm Geißler:
"Schon am 4. September 1818 ließ uns der Besuch des Oberpräsidenten Freiherrn von Vincke, als Hochderselbe in Begleitung mehrerer Regierungs-Räthe, Landräte, und Civil-Beamten den Lippestrom befahren hat, mit Sicherheit erwarten, daß die Lippe endlich schiffbar werden sollte. Am 27. März 1819 des Abends kam unter lautem Jubel das erste Fracht-Schiff auf der Lippe von Wesel herauf zu Lippborg an; die Ladung war nach Lippstadt bestimmt."

Nach dem Bau des Lippe-Seiten-Kanals wurde die Schiffahrt auf der Lippe wieder eingestellt. — Unsere Holzbrücke tat weiterhin ihre Dienste, bis sie dann im Jahre 1935 durch eine moderne Betonbrücke ersetzt wurde. Diese hatte allerdings keine lange Lebensdauer.

Sie wurde in den letzten Kriegstagen 1945 von deutschen Truppen gesprengt. Schon bald nach Beendigung der Kriegshandlungen konnten die Lippborger in Eigeninitiative eine hölzerne Notbrücke errichten, und schon in 1946 wurde die neue Betonbrücke (genau nach den Plänen der zerstörten Brücke!) gebaut. Der damalige Gemeinderat von Lippborg beschloß einstimmig, die neue Lippebrücke "dem großen Kirchenfürsten Kardinal Clemens August Graf von Galen zu widmen".


Ein Denkmal, das in unmittelbarer Nähe dieser Brücke seinen Platz hat, trägt eine Marmortafel mit folgender Inschrift:

“Clemens-August-Brücke. Dem hehren Kirchen- fürsten, dem größten aufrechten deutschen Manne in schwerer Zeit, dem Kardinal Clemens August Graf von Galen in seinem Sterbejahr und dem Baujahr der Brücke, 1946, in tiefer Verehrung und Dankbarkeit gewidmet. Gemeinde Lippborg."


Krönender Abschluß des Ehrenmals ist das Galensche Wappen, darüber Kreuz, Bischofsstab und Kardinalshut sowie ein Löwe, der neben den Symbolen Wache hält. Der Wahlspruch des Kardinals ´Nec laudibus, nec timore´ vervollständigt di Darstellung.

Brücken trennen nicht, Brücken verbinden! Insofern ist jede Brücke und jedes Brückenbild äußerst symbolträchtig. Weist uns nicht jede Brücke darauf hin, dass es unsere große Aufgabe ist, uns nicht in der Ich-Befangenheit zu verlieren, sondern das tragende Miteinander zu suchen?