2. Die Verherrlichung der Dienerin Gottes nach ihrem Tode und ihre
   Heiligsprechung am 26. November 980

Es läßt sich wohl denken, welche Trauer und Bestürzung ringsum im Lande das gläubige Volk und besonders alle Armen und Notleidenden ergriff, als sie von dem Tode ihrer hohen Gönnerin und Wohltäterin hörten, die sie ja wie eine Mutter liebten und verehrten. Von allen Seiten kamen sie in Scharen herangezogen, knieten an ihrem Grabe und beteten zu ihr wie zu einer Heiligen des Himmels. Denn aus ihrem gottesfürchtigen Leben und den hohen Tugendwerken, die sie zur Bewunderung und Erbauung aller auf Erden vollbracht hatte, schlössen sie mit voller Sicherheit, daß sie allsogleich nach ihrem Tode auch schon in die Seligkeit des Himmels aufgenommen und ihr vom göttlichen Richter die Krone der Heiligkeit zuerkannt worden sei. Auch Pfarrer Berethger, der ja dem Volke soviel Schönes und Wunderbares aus ihrem Leben erzählen konnte, hat gewiß viel zur Verehrung Idas und der vertrauensvollen Anrufung ihrer Fürbitte beigetragen. Der fromme Priester, der seiner Herrin so treu und aufrichtig gedient und ihr bis zum letzten Atemzug Beistand geleistet hatte, sollte recht bald ihr im Tode nachfolgen. Seine Sterbestunde vorausahnend, brachte er zum letztenmal am Altare der Kirche in Herzfeld das heilige Meßopfer dar und stärkte sich selbst mit der Wegzehrung des Herrn. Gleich darauf gab er im Anblicke aller Gläubigen, noch mit den priesterlichen Gewändern bekleidet und vor dem Altare stehend, seine reine und tugenderprobte Seele dem Schöpfer zurück. Das hohe Ansehen, das er seiner tiefen Frömmigkeit, seines apostolischen Eifers und seiner makellosen Sittenreinheit wegen allüberall genoß, bereitete ihm seine Ruhestätte unmittelbar neben dem Grabe der Heiligen, der er im Leben allezeit in selbstloser Ergebenheit gedient hatte. Hierzu bemerkt Uffing: „Er mußte wohl ein großes Verdienst der Gerechtigkeit besitzen, das ihn empfehlen konnte, die Gemeinschaft mit einem solchen Grabe zu erhalten."

Nach Idas Tode waren, wie uns Uffing weiterhin er zählt, die königlichen Lehnsgüter in Herzfeld durch Erbfolge zunächst in den Besitz Brunos, der mit einer Tochter der Heiligen vermählt war, gelangt. Nach dessen Ableben gingen sie in die Hand seines Sohnes Liudolf über. Dieser war Herzog von Sachsen und starb im Jahre 866. Er war der Vater Oddos, von dem der erste deutsche König, Heinrich I., abstammte. Der genannte Oddo war es nun, der nach urkundlichen Angaben im Jahre 888 durch einen Tauschvertrag die Herzfelder Kirche mit allen dazugehörigen Besitzungen dem Abte Hoger von der Benediktinerabtei Werden übergab. Nach dem Tode Berethgers, etwa im Jahre 830, haben die nachfolgenden Seelsorger an der Pfarrkirche, die das Grab Idas hüteten, ihre heilige Aufgabe leider nicht mehr mit dem gleichen Eifer und derselben Gewissenhaftigkeit und Treue erfüllt, wie der vorbildliche Gottesmann dieses etwa 30 Jahre lang zur Erbauung aller Gläubigen getan hatte. Sobald aber die Herzfelder Pfarrkirche mit dem Grabe der Heiligen in den Besitz der Werdener Abtei gekommen war, sorgten die vom Abte mit der Seelsorge betreuten Mönche mit größtem Eifer für die würdige Pflege und Ausstattung des Grabes. Wie sehr dieses jedoch vorher vernachlässigt worden war, geht aus einer Begebenheit hervor, die uns Uffing erzählt. Ein gewisser Bilo hatte in Herzfeld die Küsterei zu verwalten, also „an Samstagen und Vortagen sonstiger Feste die Kirche zu fegen, die Altäre zu schmücken, Kerzen anzuzünden und wohlriechende Kräuter umherzustreuen". Er besorgte dies alles treu und gewissenhaft und zur vollen Zufriedenheit der Gemeinde. Die südliche Gräberhalle aber diente gleichsam als Rumpelkammer, ja man scheute sich sogar nicht, den Auskehricht von der wöchentlichen Kirchenreinigung dort aufzuhäufen. Doch - wie er selber gestand - wurde ihm im Traume durch eine Erscheinung eine sehr strenge Zurechtweisung zuteil. Er hörte, wie eine unbekannte Stimme zu ihm sprach: „So sehr ich dich auch in der Verrichtung deiner kirchlichen Pflichten loben muß, so sehr muß ich dich doch darin tadeln, daß du den Schmutz und Kehricht aus der Kirche beim Grabe der Heiligen aufhäufst und den heilbringenden Boden mit unreinem Schmutze entweihst. Hüte dich, wenn dir etwas an deinem Heile gelegen ist, jemals ferner eine solche Verunehrung zu begehen." Wie sehr Bilo dieses Erlebnis zu Herzen ging, erkennen wir daraus, daß er später, als er Priester und Pfarrer an dem Heiligtum Idas und Hüter ihres Grabes geworden war, ihre Verehrung mit allen Kräften förderte und selbst Zeuge der plötzlichen Heilung einer Blinden sein durfte, die sich vor seinen Augen vollzog, gerade als er im Begriffe war, um neun Uhr vormittags das heilige Meßopfer zu feiern. - Es war anfangs des 10. Jahrhunderts, da suchten Räuberhorden der heidnischen Ungarn die westfälischen Gaue heim und plünderten und brandschatzten auch am Ufer der Lippe in der Gegend von Hovestadt und Herzfeld. Dabei „drang ein gottloser Haufe in die Kirche der heiligen Ida ein; er raubte Kreuze, Gewänder und jeglichen Schmuck". Ja, in gottesräuberischer Vermessenheit versuchten sie an das ehrwürdige Gotteshaus Brand anzulegen, indem sie die vertäfelte Decke anzuzünden versuchten. Einige Bretter fingen wohl an zu brennen, doch fielen sie, ohne weiter Schaden anzurichten, halbverkohlt in das Innere der Kirche herab. Schließlich gaben sie alle weiteren Versuche zur Brandstiftung auf, drangen jedoch noch bis in den Glockenstuhl hinauf, um sich wenigstens der Glocken zu bemächtigen. Alle Mühe und Anstrengung aber, sie von den Balken zu lösen, mißlang. Da vermuteten sie schließlich, daß „hier etwas Göttliches seine Hand im Spiele habe, und sie flohen davon. Alle geraubten Gegenstände aber fand man bald darauf im verlassenen Ungarnlager wieder und brachte sie mit Dank und Freude in die Kirche zurück. Aller Mund aber ist voll vom Lobe des Beschützers, weil man so augenscheinlich die Ehre der heiligen Ida geschützt sah".

Diese beiden Begebenheiten, die uns der Biograph Idas aus guten Quellen aufgezeichnet hat, und gewiß noch viele andere Fingerzeige Gottes bewirkten, daß der Ruhm der Dienerin Gottes „die Strahlen ihrer Heiligkeit immer mehr ausbreitete und viele, um zur Erlangung ihres Heiles zu beten, an ihrem Grabe zusammenströmten". Und das innige Vertrauen der frommen Beter wurde reichlich belohnt. Zahlreiche wunderbare Heilungen, von Augen- und Ohrenzeugen in allen Einzelheiten zuverlässig mitgeteilt und urkundlich zu Protokoll gebracht, auch mit Angabe des Namens und der Herkunft des Geheilten, wurden gesammelt und aufbewahrt, weil Gott der Herr selbst durch diese offensichtlichen - natürlicherweise nicht erklärbaren - Wunderzeichen seine getreue Dienerin verherrlichen und in aller Öffentlichkeit ihre Heiligkeit und die Macht ihrer Fürsprache kundtun wollte. Denn es ereigneten sich die von Uffing angeführten Heilungen gewöhnlich entweder am Grabe Idas oder auch während des Gottesdienstes vor den Augen der betenden Volksmenge. Größere Wallfahrten zum Grabe der Heiligen setzten aber wahrscheinlich erst dann ein, als die Raubzüge der Ungarn ein Ende gefunden hatten und wieder friedvollere Zeiten gekommen waren. Es würde nun über den Rahmen unseres Wallfahrtsbüchleins hinausgehen, wenn wir alle Wunderberichte Uffings hier im einzelnen aufführen wollten. Aus der Reihe der elf geschichtlich glaubwürdigen Heilungen wollen wir jetzt eine herausgreifen, die uns die Macht der Fürbitte Idas und den wunderbaren Erfolg gläubigen Vertrauens zu ihr darstellen soll. Wir geben im folgenden wörtlich getreu die Erzählung des Mönches Uffing wieder:

„Im Nordgau liegt ein Ort Sendinon (das heutige Sen den im Kreis Lüdinghausen), wo eine Nonne namens Werensuid ehrbaren Rufes lebte. Diese wurde fünf Jahre hindurch durch ein Gichtleiden schmerzhaft geplagt, und sie mußte auf einer Bahre oder einem Traggerät getragen werden, wenn sie einen aufsuchte zur Heilung ihres Leidens. Ihr wurde in einer Engelserscheinung bedeutet, zum Heiligtum Idas zu gehen. Sie solle Vertrauen haben, geheilt zu werden. Durch diese Botschaft sehr erfreut, rief sie sogleich ihren Bruder und ihre Verwandten herbei, erzählte ihnen lebhaft, welchen Rat sie von Gott erhalten habe, und bittet sie, ihr auf dem Wege dorthin das Geleite zu geben. Alle stimmen ihr zu, sie wird zu dem bezeichneten Orte gebracht, und dort verharrten sie den Tag und die Nacht im Gebete. Als schon der Tag graute, begann fühlbar die frühere Kraft wieder ihre Adern zu durchfließen, die Gicht verschwand, und alle Glieder sind wieder im alten Stande. Darauf begann das Meßopfer, und sie fand sich so gestärkt, daß sie selbst die Opfergabe dem Priester bringen und das Psalterbuch mit eigener Hand halten konnte. Bald drang die Kunde von diesem Wunder unter das Volk: Männer und Frauen erhoben einen Lobgesang und das um so freudiger, als sie deutlich die Hilfe der Dienerin des Herrn erkannten. Ungewohnten Schrittes geht die Klosterfrau zu ihrem Wagen zurück - denn sie war von vornehmer Herkunft - und kurz darauf erlangt sie vollständig ihre Gesundheit wieder."

Die sich immerfort steigernde Verehrung Idas und der ständig wachsende Andrang zu ihrem Grabe wurde durch eine sonderbare Erscheinung, die natürlicherweise kaum zu erklären ist, mächtig gefördert. Bei der Bestattung der Gräfin Ida hatte man den Steinsarg mit ihrem Leichnam ganz in den Erdboden versenkt und zum Schutz des Grabes darüber ein steinhartes Pflaster gelegt. Anderthalb Jahrhunderte blieb der Sarg unbewegt im Schoße der Erde. Da bemerkte man mit einemmal, wie etwa in den 70er Jahren des 10. Jahrhunderts die Grabdecke plötzlich durchbrochen wurde und der bisher verborgene Steinsarg wie durch eine unsichtbare Kraft sich aus dem Erdboden emporzuheben begann. Es hatte den Anschein, als wollten die Gebeine der Heiligen nicht länger die Härte und Verborgenheit der Erde tragen und drängten sich dem Lichte des Himmels entgegen.  Der Sarg wuchs immer mehr aus dem Boden hervor, bis er schließlich ganz von der Erde getrennt war und frei auf der Oberfläche des Bodens stand. Uffing versichert uns: „Wenn jemand glaubt, dies sei erdichtet, so rufe ich Gott zum Zeugen an, daß ich viele in meinem Leben gesehen habe, die bezeugen können, daß in ihrer Kindheit nicht mehr als der oberste Teil des Sarges zu sehen gewesen sei, daß er aber nachher sich so weit herausgehoben habe, wie man es jetzt sehen könne." Mußte man in diesem Geschehen nicht einen deutlichen Fingerzeig Gottes erblicken, daß er die feierliche Erhebung der Gebeine seiner auserwählten Dienerin und ihre öffentliche, kirchlich anerkannte Verehrung wünschte? Die Kunde von all diesen offenbaren Wunderzeichen, deren Gewißheit nicht abgeleugnet werden konnte, und dem großen Vertrauen des gläubigen Volkes drang auch zu Dodo, dem damaligen zehnten Bischof von „Mimigerdeford", dem heutigen Münster. Zahlreiche und unzweifelhaft zuverlässige Berichte waren von Hugius, dem Benediktinermönch, der in diesen Jahren der Pfarrkirche in Herzfeld vorstand, an das Kloster Werden und von dort aus durch Abt Liudolf an den Oberhirten des Bistums gesandt worden. Der Bischof, so bemerkt Uffing, „freute sich sehr darüber und dankte Gott, daß er gerade zu seiner Zeit und an einem Orte, der seiner Führung unterstand, so Großes gewirkt habe". So entschloß er sich endlich, den Bitten Liudolfs zu will fahren und durch die Erhebung der Gebeine Idas und die Einweihung einer Grabeskapelle ihr zu Ehren die feierliche Heiligsprechung der Dienerin Gottes vorzunehmen. Es war damals noch das Recht des Diözesan-bischofs, eine Persönlichkeit, die innerhalb der Grenzen seines Bistums gelebt und gewirkt und sich durch heroische Tugendwerke der Gottes- und Nächstenliebe ausgezeichnet hatte, für heilig zu erklären für den Fall, daß diese nicht nur vom gläubigen Volke hochverehrt wurde, sondern auch von Gott selbst durch sichere Wunderzeichen in ihrer Heiligkeit bestätigt worden war. Vor dieser richterlichen Entscheidung mußte aber erst eine gründliche und eingehende Prüfung sowohl der außergewöhnlich hohen Tugenden dieser Person wie auch der unzweifelhaften Echtheit der Wunder erfolgen. Dies war bei Ida in weitaus genügendem Maße klargestellt worden. Erst im Jahre 1170 hat Papst Alexander III. das Recht der Selig- und Heiligsprechung dem Apostolischen Stuhle in Rom vorbehalten. Ober die Heiligsprechung Idas hat uns nun Pater Uffing am Ende seiner Lebensbeschreibung einen sehr anschaulichen und ausführlichen Bericht hinterlassen. Dieser kann nur von einem stammen, der die Feier selbst miterlebt hat. Wahrscheinlich wird Hugius, der damalige Vorsteher der Kirche, den Verlauf der Feier in allen ihren Einzelheiten aufgezeichnet und seinem Mitbruder Uffing im Kloster Werden übermittelt haben. Welche Freude und Begeisterung wird dieser Bericht auch beim ganzen Klosterkonvent ausgelöst haben! Vor allem jubelten die Herzen bei der Nachricht auf, daß ihr Abt Liudolf das Haupt der heiligen Ida als kostbare Reliquie mitbringen werde und alle Mönche diesen teuren Schatz in feierlicher Prozession einholen sollten. Lauschen wir den Worten Uffings, mit denen er uns von der erhabenen Verherrlichung Idas, der Übertragung ihrer Gebeine zum Hochaltar der Kirche und ihrer feierlichen Heiligsprechung durch Bischof Dodo erzählt:

„Als den Gläubigen das Vorhaben des Bischofs bekannt wurde, strömten sie in großen Scharen zusammen, um der Feier beizuwohnen. Am festgesetzten Tage kam Bischof Dodo an und besuchte das heilige Grab. Dort empfahl er im heißen Gebet sein Vorhaben dem Ratgeber Christus. Dann bekleidete er sich mit den Pontifikalgewändern und ging wieder zum Grabe, von vielen Geistlichen begleitet, die die Albe trugen; dort forderte er den Abt Liudolf und alle Umstehenden auf, gemeinsam Gott anzurufen, daß er seinen Segen zu diesem Beginnen gebe. Darauf wurde unter Zustimmung aller der Deckel des Steinsarges abgehoben. Ein lieblicher Duft entströmte dem Sarge, und alle waren der Meinung, daß der Himmel ihn gesandt habe wegen der ruhmreichen Verdienste der heiligen Ida. Dann nahm der Bischof die heiligen Gebeine mit Ehrfurcht aus dem Grabe und legte sie in einen für diesen Zweck gefertigten Schrein. Die Mönche und Geistlichen sangen währenddessen Psalmen und eine Litanei. Darauf wurde unter Vorantragung von Kreuzen, Kerzen und Weihrauchfässern und unter Gesang der Schrein vom Bischof und unserem Abte in die Kirche getragen und dort von ihnen auf dem Altare niedergesetzt. Als er sodann kurz zu dem Volke einiges über die Heiligkeit Idas gesprochen hatte, stimmte er das Tedeum an, und in den Gesang fiel das Volk ein. Darauf weihte der Bischof den östlichen Ausbau der Kirche (den „Portikus" südlich des Chores) zu Ehren der Gottesmutter Maria und unter dem Namen der heiligen Ida und setzte fest, daß der Tag der Übertragung und der Weihe alljährlich festlich begangen werde. Nach diesen Anordnungen erteilte er den bischöflichen Segen und entließ das Volk,  und auch er selbst entfernte sich mit seinen Begleitern. Das ist geschehen im Jahre nach der Geburt des Herrn 980 am 26. November, einem Mittwoch, mit Festsetzung einer Oktav, zur Zeit, als Kaiser Otto regierte, im 20. Jahre, seit er mit dem älteren Kaiser, seinem Vater, zu herrschen begann, im 8. Jahre, seit er selbst die Herrschaft übernahm, während über alles herrschte Jesus Christus, dessen Macht die ganze Welt beherrscht und von allen Geschöpfen durch alle verherrlicht, gelobt und angebetet wird von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen."