DAS KRIEGSENDE 1945 IN DER GEMEINDE HOVESTADT

In den umfangreichen Briefschaften, Urkunden, Zeitungsberichten Briefentwürfen und sonstigen Belegen des Beigeordneten und Bürgermeisters von Hovestadt 1940-1945 befanden sich zwei eng beschriebene Bogen. Mit seiner charakteristischen Handschrift hat der damals 70-jährige Josef Bierhaus, wahrscheinlich am Schreibtisch im "Postzimmer" seines Hauses Schloßstraße 9, folgendes niedergeschrieben:

"Niederschrift 3.4.45. 4 Uhr morgens               Hovestadt 1


Der Bürgermeister

Am 1. April, etwa 2,45 (Uhr morgens) wurde ich von Offizieren der Wehrmacht geweckt, die Einlaß begehrten. Nach einigen belanglosen Fragen erfolgte um etwa 3 Uhr eine furchtbare Erschütterung. Mit dem Rufe "Das war sie" (= die gesprengte Lippebrücke) verließen die Soldaten das Haus. Die Lippebrücke war gesprengt und zwar so gründlich, daß auch die Widerlager zerstört waren. Außer leichter Dach- und Fensterschäden an allen Gebäuden der Gemeinde war völlig zerstört das Wohnhaus des Bäckermeisters Clemens Kleeschulte. Schwere Gebäudeschäden hatten die zunächst liegenden Gebäude des Segenkampes und der Lippestraße, besonders aber das Backhaus und Mietshaus des Kleeschulte, die Häuser Rentmeister Dürrefeld, Cräsing Becker, Hokenbecker, Lammers, Fritz Naumke und das Schloß. Zahlreiche andere Gebäude hatten schwere Dach-, Fenster- und Türenschäden .

Die Gemeinde hatte seit Tagen eine Besatzung von ca. 60 Soldaten unter dem Kommando eines Oberleutnants (Peusen). Die jüngeren, anscheinend nicht genug ausgebildeten Soldaten waren inzwischen versetzt, so daß ein Rest von 28 Mann übrig geblieben war.

Um etwa 9 Uhr traf der Bürgermeister a.D. Hackethal (später Regierungspräsident in Münster) -und zwar wie er mir sagte auf Anregung des Schreinermeisters Anton Herold- an mich heran, (dass ich) als verantwortlicher Bürgermeister zum Zeichen der Übergabe des Ortes an die in der Gemeinde Herzfeld liegende englische (richtig: amerikanische) Panzerstreitmacht auf den Panzersperren und auf allen Gebäuden die weiße Flagge zu ziehen, um dadurch das Dorf vor: der Beschießung zu bewahren.. Ich lehnte das Ansinnen mit der Begründung ab, dass dann das Dorf erst recht in Gefahr gebracht würde, denn ohne Zweifel würde der Gegner, nachdem er bei dem Versuch einer friedlichen Besetzung von der Wehrmacht Feuer erhalten hätte, das Dorf in Schutt und Asche legen.

Etwa (um) 11 Uhr erschienen Herr Hackethal, Graf von Plettenberg, Rentmeister Dürrefeld, ein mir bisher unbekannter Herr Majonica (späterer Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Soest) und der Vikar Henkel -der mir nachher erklärte, daß er mitgeschleppt worden sei- und wiederholten das Ansinnen, die weiße Flagge mit der Begründung zu ziehen, daß die Wehrmacht den Widerstand aufgegeben habe. Auf meine Einrede, daß -ich gerade jetzt noch Soldaten mit Panzerfäusten und Gewehren auf der Straße gesehen hätte, erklärten die Vorgenannten, daß der kommandierende Offizier sich über die Lippe zum Gegner habe übersetzen lassen. Auf meine Entgegnung, daß ich nur nach Anhören und im Einvernehmen mit dessen Stellvertreter zum Aufziehen der (weißen) Flagge bereit sei, wurde Herr Majonica beauftragt, den Stellvertreter herbei zu rufen. Nach kurzer Zeit verließen mich die Besucher, ohne das Eintreffen des Stellvertreters abzuwarten. Dieser erschien jedoch nicht.

Als ich auf die Straße trat, war man allgemein damit beschäftigt, weiße Flaggen zu ziehen. Nach kurzer Zeit wurden die Flaggen aber in aller Hast wieder eingezogen. Es wurde gesagt, daß die Wehrmacht mit einem Kriegsgericht gedroht hätte; die letzten Flaggen wurden von den Soldaten selbst herunter geholt.

Von den Vorgängen und den Verhandlungen, die an der Lippe (gemeint ist die Verhandlung von Hauptmann Peusen, Unterarzt Dr. Bachmann und Frau von Gagern in Herzfeld) geführt worden sind und die zur Kapitulation der Wehrmacht führen sollten, habe ich nur gesehen, daß der führende Offizier mit mehreren Begleitpersonen von einer erfolglosen Verhandlung mit dem Gegner über die Lippe zurückkam. Auf meine Frage, ob ich oder die Gemeinde von dem Beginn des zu erwartenden Kampfes unterrichtet würden, erklärte mir der Führer (Hauptmann Peusen), daß er mir dies nicht sagen könne

Nach Stunden um etwa 16,30 Uhr wurde mir von meiner Frau, die im Schloßkeller Zuflucht gesucht hatte, mitgeteilt, daß die Kapitulation doch erfolgt sei und die deutschen Soldaten (unter Hauptmann Peusen) über die Lippe gesetzt würden. Die Besetzung des Ortes solle um 18. Uhr erfolgen. Stattdessen kam die Meldung durch den Eisenbahner Bücker (der vom Dienst an der Ruhr-Lippe-Eisenbahn zurückkehrte), daß eine Panzerabteilung von Oestinghausen nach Soest unterwegs und eine Streife mit Motorrad schon in Hovestadt angelangt sei. Diese ordnete die sofortige Einziehung von weißen Fahnen an.